Von
Tilmann P. Gangloff
Ein Mann wird verhaftet, weil ein Computerprogramm prognostiziert hat, dass er ein Verbrechen begehen wird: Das ist in aller Kürze die Handlung von Sebastian Fitzeks Roman „Das Joshua-Profil“. Die Adaption des Bestsellers (UFA Fiction) knüpft an die Popcorn-Movie-Tradition von RTL an: Jochen Alexander Freydanks Film erzählt mit großen Bildern, wie ein unbescholtener Familienvater den Kampf mit einem übermächtigen Überwachungs-Konzern aufnimmt. Gegen Ende, wenn die Geschichte im Grunde nur noch aus Flucht besteht, kommt dem Thriller zwar etwas die Spannung abhanden, aber die ausnahmslos guten Darsteller und die sorgfältige Bildgestaltung machen den Film durchweg sehenswert.
„Precrime“ ist der große Traum der Verbrechensbekämpfung: Täter werden verhaftet, noch bevor sie ihre Taten begehen. In Form des „Predictive Policing“ (vorhersagende Polizeiarbeit) gibt es das bereits: Aufgrund von statistischen Daten kann die Polizei die Wahrscheinlichkeit eines Delikts prognostizieren. Aber viel effizienter wäre es natürlich, wenn es eine Software gäbe, die individuelle Verbrechen vorhersagt; auf diese Weise könnten Menschen bereits für „Gedankenverbrechen“ bestraft werden, wie George Orwell das in „1984“ genannt hat. Welche Risiken diese Form des „Precrime“ birgt, hat Sebastian Fitzek in seinem Roman „Das Joshua-Profil“ (Bastei-Lübbe, 2015) beschrieben. Der völlig unbescholtene Schriftsteller und Familienvater Max Rhode (Torben Liebrecht) wird von der „Joshua“ genannten Software eines Konzerns als potenzieller Verbrecher belastet: Das Programm sagt voraus, er werde seine Pflegetochter Jola (Lina Hüesker) entführen und missbrauchen. Die Prognose stützt sich auf Hinweise, die „Joshua“ in Form von Fotos und kranken Fantasien im Darknet entdeckt hat. Als sich herausstellt, dass die vermeintlich perfekte Software einen verhängnisvollen Irrtum begangen hat und der Verkauf des Programms an die Bundesregierung gefährdet ist, muss Rhode als „Fehler im System“ beseitigt werden. Fitzeks Geschichte erinnert an Steven Spielbergs Film „Minority Report“ (2002), der wiederum auf einer sechzig Jahre alten Kurzgeschichte von Science-Fiction-Autor Philip K. Dick basiert; beide dienten bereits als Inspiration für den kürzlich ausgestrahlten „Wilsberg“-Krimi „Prognose Mord“.
TV-Spielfilm ist weniger nachsichtig mit dem RTL-Movie:
„Warum läuft eine 13-Jährige mit einem Kuscheltier herum? Warum wird ein Mann mit schwersten Verbrennungen in seiner Villa und nicht in einer Klinik behandelt? Zwei der vielen Fragen, die sich in diesem beknackten Film stellen. Einziges Highlight: Autor Fitzeks Gastauftritt als lästernder Buchhändler … Vergurkter Reißer zum Thema Datenschutz.“
Bestsellerautor Fitzek hat die Handlung allerdings als modernen Thriller gestaltet; das macht sie zu einem perfekten Filmstoff für RTL. Die Adaption besorgte Jan Braren, was etwas überrascht. Der Autor ist für das Jugenddrama „Homevideo“ (2011) mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden und war an einem der Drehbücher der „NSU“-Trilogie beteiligt; zuletzt hat er die Vorlage für einen ungewöhnlichen niedersächsischen „Tatort“ („Der Fall Holdt“) geliefert. Auch wenn dem knapp 110 Minuten langen Film im letzten Drittel, wenn die Geschichte im Grunde nur noch aus Flucht besteht, etwas die Spannung abhanden kommt: Sehenswert ist „Das Joshua-Profil“ dennoch, zumal Jochen Alexander Freydank für viele große Bilder sorgt. In der Filmografie des Regisseurs nimmt die UFA-Produktion ebenfalls einen besonderen Stellenwert ein: Der 2009 für „Spielzeugland“ mit dem Kurzfilm-„Oscar“ ausgezeichnete Autodidakt hat nach seiner sehenswerten schwarzen Komödie „Und weg bist du“ (2012, Sat 1) vorwiegend Reihenfilme gedreht („Der Usedom-Krimi“, „Der Barcelona-Krimi“). RTL wiederum hat mit seinen nur noch seltenen „TV-Movies“ zuletzt vor allem auf Zeitgeschichte gesetzt; „Starfighter“ (2015) erzählte von den Düsenjägerabstürzen in den Sechzigern, „Duell der Brüder“ (2016, ebenfalls mit Liebrecht) schilderte den lebenslangen Wettstreit zwischen den Dassler-Brüdern und ihren Firmen Adidas und Puma. Freydanks zweite Arbeit für einen Privatsender ist dagegen ein Popcorn-Movie in der RTL-Tradition von Thrillern wie „Die dunkle Seite“ (nach Schätzing) oder „Das Papst-Attentat“ (beide 2008). Tempo und Intensität des Films haben tatsächlich Kinoniveau, vor allem zu Beginn, wenn Rhode nicht versteht, wie ihm geschieht; er fühlt sich völlig machtlos, weil ein unsichtbarer, aber übermächtiger Gegner jeden seiner Schritte vorauszuahnen scheint. Als sich angesichts der erdrückenden Indizien auch noch seine Frau (Franziska Weisz) von ihm abwendet, kann er sich nur noch auf seinen Freund und Anwalt Toffi (Armin Rohde) verlassen. Es gibt zwar noch einen älteren Bruder (Max Hopp), aber der hat erhebliche psychische Probleme. Albtraumartige Einschübe verraten die Ursache: Rhode senior hat den beiden Jungs einst ein ganz spezielles Überlebenstraining verpasst; Max hat die Erlebnisse in seinem soeben erschienenen Thriller „Die Blutschule“ verarbeitet. Als Jola entführt wird und er mit Hilfe von Zufallsbekanntschaft Frida (Inez Bjørg David) herausfindet, wer hinter dem Komplott steckt, dreht er den Spieß um und geht zum Angriff über.
Freydank findet für die Omnipräsenz des Überwachungsstaats zwar keine neuen Bilder, aber trotzdem sind die Zugriffsmöglichkeiten des Konzerns auf sämtliche Digitaldaten von der Smartwatch über jegliche Form der Computernutzung bis hin zu den Messgeräten im Krankenhaus dank der entsprechenden Bildgestaltung beunruhigend genug. Interessanterweise hat Freydank keinen düsteren Thriller-Look gewählt; die Berlin-Bilder (Kamera: Wolf Siegelmann) erinnern mit ihren warmen Sommerfarben im Gegenteil an die Komödien von Til Schweiger. Umso größer ist der Kontrast zur finsteren Überwachungszentrale. Die vielen Monitore sind in einem Raum untergebracht, der wie ein Teil einer Tunnelröhre aussieht (Szenenbild: Florian Langmaack); sämtliche Mitarbeiter (angeführt von Torsten Michaelis) sind ganz in schwarz gekleidet. Wie wichtig Freydank und seinen Mitstreitern die optischen und akustischen Details waren, zeigt einerseits die Sorgfalt, mit der viele Szenenwechsel gestaltet sind, und andererseits die Abstimmung von Musik und Geräuschen auf die Bilder. Amüsant sind auch ein paar Insider-Gags: Fitzek hat tatsächlich parallel zu „Das Joshua-Profil“ einen zweiten Roman unter dem Namen Max Rhode veröffentlicht. Das Buch „Die Blutschule“, aus dem der Schriftsteller in einer Buchhandlung vorliest, gibt es also wirklich; den Buchhändler spielt Fitzek selbst. Das letzte Wort des Films hat Toffi, der seinem Freund freudestrahlend verkündet, das Buch sei dank der Berichterstattung über seinen Fall ein Bestseller und RTL habe sich die Filmrechte gesichert. (Text-Stand: 10.3.2018)
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Mit Torben Liebrecht, Inez Bjørg David, Armin Rohde, Franziska Weisz, Lina Hüesker, Arnd Klawitter, Max Hopp, Peter Mygind, Torsten Michaelis
Kamera: Wolf Siegelmann
Szenenbild: Florian Langmaack
Kostüm: Heike Hütt
Schnitt: Oliver Lanverman
Musik: Ingo Ludwig Frenzel
Sounddesign: Miles Kann
Soundtrack: Sundara Karma („Olympia“)
Redaktion: Nico Grein
Produktionsfirma: UFA Fiction
Produktion: Jörg Winger
Drehbuch: Jan Braren – Romanvorlage: Sebastian Fitzek
Regie: Jochen Alexander Freydank
Quote: 2,24 Mio. Zuschauer (7,1% MA)
EA: 30.03.2018 20:15 Uhr | RTL
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